Aschaffenburg, 26. Januar 2024

Nahe am Herzen Afrikas - Der persönliche Reisebericht von Dr. Hansjörg Schemann, Pfarrer i.R.

Wir sind erst vorgestern, am 24. Januar 2024, von Kamerun zurückgekehrt. Noch habe ich den Eindruck, von einem anderen Stern zurückgekehrt zu sein. Die Seele ist noch nicht ganz angekommen. So ganz anders sind das Leben, die Menschen, das Land als das Gewohnte. Im Vordergrund steht für mich ein großer Dank, dass mein Freund und seine liebe Frau Marguerite uns zu dieser Reise eingeladen hatten. Zugegeben hatte ich zu Beginn ein etwas mulmiges Gefühl, obwohl mir als Pfarrer der Evang.-Luth. Christuskirche Aschaffenburg das Projekt Lumière-Cameroun bekannt war. Seit nunmehr 17 Jahren sind die Christuskirche und Lumière-Cameroun als Partner verbunden. Aber so ganz kann man die aktuellen Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ja doch nicht ausblenden.

Und doch habe ich mich zu keinem Zeitpunkt unsicher oder bedroht gefühlt. Ganz im Gegenteil: Dass unser Besuch ein so wichtiges Zeichen der Wertschätzung und Ermutigung für die Mitarbeiterinnen und Schülerinnen von Lumière-Cameroun sein würde, habe ich nicht geahnt. Dabei sind wir es eigentlich gewesen, die so unendlich viel gelernt und erfahren haben.

Da wir planen, einen Film über die Reise zu erstellen, fiel mir die Rolle des Interviewpartners ganz vieler am Projekt Lumière-Cameroun beteiligter Menschen zu. Filmisch und fotografisch wurden wir dabei von Ayouba begleitet, der sein Handwerk beim kamerunischen Fernsehen gelernt hat und zugleich eng mit Lumière-Cameroun verbunden ist.

Diese Interviews haben mich am meisten bewegt: Da ist die junge Mutter von 5 Kindern, die ohne die Alphabetisierung und Nähkurse ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könnte, da ist die junge Witwe und ebenfalls Mutter von drei Kindern, der ohne die handwerkliche Unterstützung von Lumière-Cameroun nur noch die Prostitution als Ausweg geblieben wäre. Da ist die geschiedene junge Frau, die uns später stolz in ihr eigenes Geschäft zeigt. 2007 hat sie begonnen, bei Lumière-Cameroun lesen, schreiben und die französische Sprache zu lernen. Danach hat sie ebenfalls bei Lumière-Cameroun das Schneiderhandwerk erlernt. Mit Hilfe eines Mikrokredites von Lumière-Cameroun konnte sie eine Nähmaschine erwerben und mit einem kleinen Startkapital hat sie zu Hause begonnen, Kleider für Mädchen und Frauen zu nähen. Heute betreibt sie zusammen mit einem Partner einen schönen Laden und schneidert weiterhin Kleider. Die Bescheidenheit, aber auch der Mut, die selbstbewusste und zielstrebige Ausstrahlung dieser Frauen, haben mich tief beeindruckt.

Eines der Interviews haben wir in einem abgelegenen Dorf unter freiem Himmel bei großer, trockener Hitze unter einem Niembaum geführt: Dankbar erzählten mir die Frauen, wie sie durch das ökologische Projekt „Bäume statt Wüste“ auch neue Anbaumethoden, beispielsweise von Zwiebeln, gelernt haben. Nur wenige Meter entfernt, in der sengenden Hitze, steht das Brunnenhaus, ausgestattet mit einer Solarpumpe, so dass die Bewässerung des Projektes kein Problem ist.

Was für ein Segen die Brunnen von Lumière-Cameroun und anderen Organisationen sind, erfahren wir auf Schritt und Tritt. Wasser ist Leben, vor allem Mitten in der Sahelzone. 7.000 Euro kostet so ein Brunnen, der unzähligen Menschen in dieser Hitzezone der Erde Leben und Einkommen sichert. Großartig.

Bei dem Besuch von weiteren Frauengruppen nach stundenlanger Fahrt auf staubigen und unebenen Pisten mit dem geländegängigen Toyota von Klaus (235.000 km auf dem Buckel) erfahre ich eine weitere Besonderheit der Arbeit von Lumière-Cameroun: Es ist keinesfalls so, dass sie als Hilfsorganisation den Frauen bestimmte Vorgaben, Vorschriften oder Bedingungen stellen; nein, es sind die Frauengruppen in den Dörfern SELBST, die auf Lumière-Cameroun zugehen und um Unterstützung bitten. Wenn dann Mitarbeiterinnen und Supervisorinnen von Lumière-Cameroun vor Ort die Möglichkeiten der Unterstützung ausloten, tun sie das in erster Linie als FRAGENDE. Im Zentrum aller Hilfe stehen die Frauen mit ihren Bedürfnissen und Vorhaben. Lumière-Cameroun stellt dann ein begrenztes Budget zur Verfügung, mit dem die Gruppen selbstständig haushalten müssen, z.B. die Lehrerin für die Alphabetisierung bezahlen.

Hier habe ich einen neuen Begriff gelernt: „Andragogie“. In der Pädagogik bezieht er sich auf das Konzept, das auf die spezifischen Bedürfnisse erwachsener Lernender abzielt, um ihre Selbstständigkeit zu fördern. So fördert auch Lumière-Cameroun bewusst selbstbestimmtes und praxisorientiertes Handeln, wobei das Erlernen von Schrift und Sprache (Alphabetisierung) natürlich existenziell ist.

Apropos Sprache: 250 gibt es in Kamerun, das 20 % größer als Deutschland ist, aber nur rund 27 Millionen Einwohner hat. Während ich mit meinen mageren Französischkenntnissen (Amtssprache in Kamerun) in unserer Gruppe scherzhaft als der „Einäugige unten den Blinden“ bezeichnet wurde, so waren es vor allem die Übersetzungskünste von Klaus und Marguerite, die uns weiterbrachten. Sie übersetzten unsere Interviewfragen ins Französische, während der Leiter von Lumière-Cameroun vor Ort, Auguste Sanda, die französischen Fragen schließlich in die Umgangssprache Fulfulde übersetzte, damit sie von den Schülerinnen verstanden wurden.

Für mich persönlich war es dann ein Highlight, dass ich bei einer Mitarbeiterrunde im Centre Lumière-Cameroun vor den Mitarbeitern eine Andacht halten durfte, die entsprechend auch übersetzt wurde. Hier hatte ich das tiefe Empfinden, dass wir als Menschen verschiedener Hautfarbe, verschiedener Kultur und Sprache durch den Glauben an Jesus Christus wahrhaft Brüder und Schwestern sind. Wir sind miteinander verwandt, das gilt für den Glauben, als Kinder des einen Vaters, das haben aber auch ethnologische Forschungen ergeben. So begegnen wir letztlich auch in Deutschland mit den Migranten unseren eigenen Verwandten ...

Natürlich können diese Erfahrungen nicht über große Unterschiede hinwegtäuschen. Und wir haben in unsere Reisegruppe und auch mit Klaus und Marguerite und Sanda immer wieder darüber diskutiert, warum die Länder des Südens in ihrer Entwicklung gegenüber den Industrienationen so weit zurückliegen, vor allem im Bildungs- und Gesundheitssektor. Wir haben über Mentalitäten gesprochen, über die Folgen von Kolonialisierung und Klimawandel - und vieles mehr.

In diesem Zusammenhang bleiben mir zwei flammende Reden von Marguerite in Erinnerung, die sie spontan vor den Frauen gehalten hat. Bei einer der Reden ist sie plötzlich auf Klaus zugegangen und hat ihn kräftig geschüttelt mit den Worten: „Glaubt nicht, dass von meinem Mann Geld und Wohlstand abfallen, wenn ich ihn nur kräftig genug wie einen Baum schüttele. Nein, nehmt euer Leben selber in die Hand. Auch ich musste in Deutschland vier Jahre lang hart arbeiten, eine neue Sprache erlernen und meine Ausbildung als Pflegefachfrau machen, bevor ich meine eigenen Einkünfte hatte.“ So ermutigte Marguerite die Frauen, konsequent an ihrer Bildung und den praktischen Fähigkeiten wie Gartenbau und Nähen zu arbeiten.

Und so habe ich aber auch immer wieder Menschen auf der Straße erlebt: Wollte sich einmal ein Straßenjunge bettelnd an unsere Fersen heften, wurde er von den Erwachsenen mit dem Hinweis, doch besser in die Schule zu gehen als zu betteln, zurechtgewiesen. Bei solch einer Gelegenheit wurde uns sogar von einem Händler, der diese Szene beobachtet und den Jungen zurechtgewiesen hatte, eine kleine kamerunische Flagge geschenkt mit dem unausgesprochenen Hinweis: Wir Kameruner, Afrikaner, sind keine Bittsteller, wir haben unsere eigene Würde.

Von dieser Würde und diesem afrikanischen Selbstbewusstsein haben wir auch bei unseren offiziellen Terminen viel gespürt. So ergab es sich, dass wir den traditionellen König von Maroua, den „Lamido“, bei einer Zusammenkunft mit allen Lamidos der Region (vergleichbar mit Bundesland) „Extrême-Nord“ antrafen. Feierlich wurden wir vorgestellt und durften viele Hände schütteln.

Weniger offiziell, aber nicht weniger beeindruckend, war die Begegnung mit dem Kirchenpräsidenten des Evangelischen Kirchenbundes Kameruns Salomon Hamadina. Beim festlichen Abendessen stellt er uns einen Pastor-Kollegen vor. Er leitete eine Gemeinde nahe der Grenze zu Nigeria. Wie viele andere Christen mussten er und seine ganze Familie vor der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram fliehen. Viele Familien sind quasi Flüchtlinge im eigenen Land. Sie siedeln sich weiter im Süden an, was teilweise zu Problemen mit der dort ansässigen Bevölkerung führt. Dort entstehen neue Gemeinden, die seitens des Kirchenbundes seelsorgerisch begleitet werden. Dem Kirchenpräsidenten ist aber auch die diakonische Hilfe z.B. in Form von Lebensmittelspenden und Entwicklungsprojekten ein großes Anliegen. So wurde zum Beispiel unter den Umsiedlern der Anbau von Obst und Gemüse initiiert, der nicht in Konflikt mit den Bräuchen der einheimischen Bevölkerung steht. Beschlossen haben wir die Begegnung dann mit gemeinsamem Gebet!

Im Rückblick auf diese großartige und bewegende Reise ist es mir ein Anliegen, Auguste Sanda, Marguerite und Klaus Rathgeber herzlich zu danken. Sie haben uns mit ihren Vorbereitungen, ihren Übersetzungen, ihrem großen Engagement für Lumière-Cameroun mit dem afrikanischen Herzen und der afrikanischen Seele in Berührung gebracht. Dabei sind wir als Reisegruppe, die wir uns persönlich kaum kannten, ganz besonders als Gemeinschaft zusammengewachsen. Jeden Tag begannen wir mit den Worten der Herrnhuter Losungen. Das Wort für unsere letzte Woche in Kamerun gewann für uns fernab der Heimat, aber doch verbunden im Glauben mit den Geschwistern weltweit, besondere Aktualität und Bedeutung:

„Es werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“
Lukasevangelium Kapitel 13, Vers 29

Hier der Link zu den Bildimpressionen von Dr. Hansjörg Schemann.